Es gibt keine Arbeitsplätze auf einem toten Planeten.

Politik mit Beteiligungsprozessen

Wie Beteiligung gemeinsam gelingen kann.

von Silke Knöbl, Juli 2022

Wir leben in einer Welt, mit sehr grossen, komplexen Herausforderungen, die keine Parteithemen sind und die auch keine Partei allein lösen kann. Und genau deshalb dürfen auch alle Menschen eines Landes bei der Erarbeitung von Lösungen und bei Entscheidungen beteiligt sein bzw. die Möglichkeit zur Beteiligung zu erhalten. Menschen wollen vor allem gehört werden. Zudem ist es zentral, alle auf denselben Wissensstand zu bringen. Dabei ist es wichtig, Pro und Contra aus wissenschaftlicher Sicht offen und klar anzusprechen – auch hier gibt es verschiedene Perspektiven. Das übergeordnete Problem: Partizipation wird oftmals unterschiedlich verstanden (siehe Bild).

Gemeinsames Gestalten mit direkter Demokratie
Anstatt sich mit Beschlüssen der Politik (und damit verbundenen Werbekampagnen, welche die Wähler vor Abstimmungen überzeugen sollen) auf der einen Seite und Referenden der Gegnerschaft auf der anderen Seite gegenseitig zu bekämpfen, ist es wirksamer, die Ausgangslage zu ändern, die Bevölkerung von Beginn an zu beteiligen und mit ihr ins Gespräch zu kommen. Der gesamte Prozess bietet auch Raum, um Konflikte miteinander auszuhandeln.

Wer sollte bei einem Partizipationsprojekt beteiligt werden? Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Zu klären ist das gesamte Verfahren, denn mit einem oder ein paar Workshop(s) ist es nicht getan. Und eine transparente, regelmässige Kommunikation ist das A und O. Will man Menschen tatsächlich beteiligen, muss es die Haltung sein, dieses Vorhaben mal auszuprobieren und es danach als zentralen Teil der direkten Demokratie zu verstehen, zu verankern und langfristig zu kultivieren. Das Vorhaben soll transparent konzipiert, kommuniziert und vertrauensvoll umgesetzt werden. Es müssen klare Prozessstrukturen, Formate, Räume und Steuerungselemente (Governance) definiert werden. 

Kulturwandel ermöglichen
Gerade die Governance ist sehr wichtig, da meistens die Schnittstellen bei Beteiligungsprozessen mit der Bevölkerung nicht funktionieren. Oder es ist nicht geklärt, was mit den erarbeiteten Ergebnissen tatsächlich passiert. Obwohl der Prozess bei Beteiligungsverfahren an sich ergebnisoffen ist, muss vorab ein klares Ergebnis definiert werden, was am Ende rauskommen soll, z.B. Empfehlungen an die Politik.

Wie gestaltet man diese Rahmenbedingungen? Und wie kommen diese Empfehlungen in zentrale politische Organe? Wie wird sichergestellt, dass sich die Politik damit tatsächlich befasst und sie die Arbeit der Bürger:innen ernst nimmt? Werden die Menschen für den Beteiligungsprozess ausgelost? Werden sie für ihre Arbeit entlöhnt? Wie geht man mit dem Thema Inklusion um, um etwa auch Menschen mit Behinderungen oder Menschen mit Migrationshintergrund (die z.B. nicht wahlberechtigt sind, aber Steuern zahlen) zu beteiligen? Wie bleiben die Menschen nicht nur in der Planung und Entwicklung, sondern auch in der Umsetzung beteiligt? Wo ist die Politik in der Verantwortung, was können die Beteiligten selbst(wirksam) umsetzen etc.?

Je besser alles geklärt und definiert ist, desto weniger passiert das Folgende: Oft werden Workshops mit der Bevölkerung zwar durchgeführt, allerdings werden deren Ideen und Vorschläge dann doch nicht weiterbearbeitet oder umgesetzt – aus verschiedenen Gründen. Man bleibt damit auf der ersten Stufe der Partizipation (Einbezug) stehen. Im schlimmsten Fall ist es einfach nur Marketing. Deshalb ist es wichtig, die Rahmenbedingungen zu klären und auch die richtigen Fragen im Prozess zu stellen und nicht etwa abzufragen, was sich die Menschen zu einem bestimmten Thema wünschen. Das artet in ein Wunschkonzert aus, mit dem niemand etwas anfangen kann.

Der Frust bei den Teilnehmenden ist dann dementsprechend gross, weil ihre Ideen nicht umgesetzt werden (können), und die Unzufriedenheit mit politischen Vertretern wird immer grösser. Das gesamte Verfahren muss deshalb gut konzipiert und professionell begleitet werden. Nicht zuletzt muss das Auswahlverfahren (z.B. Losverfahren) der beteiligten Menschen transparent und nachvollziehbar sein.

Nicht zuletzt erkennt man gute Beteiligungsprozesse daran, dass sie auch etwas mit den Beteiligten machen – und zwar im positiven Sinne. Die Beteiligten erleben die Kraft des Zuhörens und psychologische Sicherheit, sich in einem geschützten Raum auszutauschen. Sie nehmen die Perspektive des Gegenübers ein, wenngleich sie nicht derselbenMeinung sind, lernen sie, andere Meinungen zu verstehen und anzunehmen. Es geht nicht nur um das Ego, sondern um das Eco – gemeinsam das Beste fürs Gemeinwohl zu erarbeiten. Gute Beteiligungsprozesse fördern die Selbstreflexion der Beteiligten – deshalb sind sie auch ein Stück Persönlichkeitsentwicklung.

Für die Demokratie und den Zusammenhalt
Die Spaltung der Bevölkerung bei grossen Themen ist seit vielen Jahren beobachtbar. Zudem hat die soziale Ungleichheit zugenommen. Durch die aktuellen Krisen schaukeln sich die verschiedenen Konflikte noch mehr hoch. Insbesondere in den sozialen Netzwerken. Hierarchisch geprägte Gremien wie Regierungen, Räte oder Parteien etc. werden zunehmend infrage gestellt. Die politischen Strukturen sind doch sehr träge, da sie seit den 1950er- bzw. 1960er-Jahren kaum weiterentwickelt wurden. Es braucht frische Ideen, effiziente Prozesse und eine neue Haltung aller Beteiligten. Es geht nicht nur um das Individuelle, sondern auch um das Kollektive. Und das ist mit Beteiligungsverfahren möglich.

Vor gut konzipierten, gut begleiteten und gut kommunizierten sowie gemeinsam gestalteten Beteiligungsprozessen auf Augenhöhe muss niemand Angst haben – vor allem nicht die Politik. Denn Beteiligungsprozesse können das Vertrauen in die Politik wiederherstellen. Auch «heisse Eisen», welche die Politik aus verschiedenen Gründen nicht angreift, können in gemeinsamen Beteiligungsverfahren gemeinsam gestaltet und umgesetzt werden.

Politik wird so sympathischer und zugänglicher. Dazu braucht es Mut und auch den Willen, mit der Bevölkerung auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten und die kollektive Intelligenz zu nutzen. Gemeinsames Gestalten ist zentral für eine funktionierende Demokratie und für den Zusammenhalt. Nicht nur bei Krisen. Denn die grossen Krisen, vor denen wir Menschen stehen, können letztlich nur gemeinsam gelöst werden. Es ist deshalb höchste Zeit für partizipatives Gestalten und verbindliche Beteiligungsprozesse.

Tipp: 

Allen, die sich grundlegendes und einfach verständliches Wissen über die Klimakrise aneignen wollen, sei das Gratis-E-Book des Netzwerks Weitblick empfohlen (siehe Link unten). Es ist insbesondere für Journalistinnen gedacht, die über die Klimakrise schreiben und damit Wissen vermitteln.
Das Netzwerk Weitblick ist ein gemeinnütziger Journalist:innenverband, der Medienschaffende bei ihrer Berichterstattung zu Themen aus dem Bereich «Nachhaltige Entwicklung» unterstützt. Dazu gehören die Klimakrise, Biodiversität, Kreislaufwirtschaft, Landwirtschaft oder nachhaltiges Investment etc. Quelle: Jörg Sommer, Vorsitzender Deutsche Umweltstiftung

Link:
Schreiben_ueber_die_Klimakrise_2022

Bildquelle:
Pexels, Markus Spiske

Autorin:
Silke Knöbl ist Prozessbegleiterin, systemische Coachin und Kommunikationsspezialistin. Sie befasst sich vor allem mit Selbstwirksamkeit, (Bürger-)Beteiligung und Transformation. Weitere Blogbeiträge von ihr finden sich in Silky Way – das Impactblog

 

 

 

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