Wir sind Momo. Noch nicht.

Was Zuhören und aus dem Herzen sprechen mit Veränderungsfähigkeit zu tun haben.

von Silke Knöbl, November 2023

Kennst du Momo? Momo ist ein mehrteiliger Roman von Michael Ende. Der Roman ist 1973 erschienen. Worum geht es? Momo ist zwar arm, besitzt jedoch eine besondere Gabe: Sie kann sehr gut zuhören. Das kann sie so gut, dass sich plötzlich die Zunge derjenigen löst, denen sie zuhört, und diese ganz plötzlich wieder grosse Ideen bekommen und die Freude in ihnen aufblüht, und sie dann alles, was sie in sich versteckten, mit geflügelten Worten erzählen. Dies führt dazu, dass Momo zu einer unverzichtbaren Seelsorgerin für alle wird.

Da sie jedoch durch ihr besonders gutes Zuhören auch die Fantasie der Menschen anregt, können die Kinder viel besser spielen als je zuvor. Auch Geschichtenerzähler Gigi kann, seitdem Momo da ist, seine Geschichten viel besser und spannender als je zuvor erzählen. Der alte Strassenkehrer Beppo, der während seiner Arbeit immer viele Sinneseindrücke sammelt, kann sie Momo berichten, ohne dass jemand ihn für verrückt hält, da Momo ihn versteht und in sein Herz hineinhört.

Ausschnitt aus Momo: 45-Sekunden-Kurzvideo über Momo und das Zuhören (einfach Bild anklicken, evtl. vorher Kurzwerbung in YouTube)

«Ich glaub, man muss ihm zuhören, auch wenn er nicht singt.» Momo 

Theorie U

C. Otto Scharmer ist Aktionsforscher und Senior Lecturer am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge und Gründer des dortigen Presencing Institute. Er forscht seit vielen Jahren zu bewusstseinsbasierter Veränderung und hat mit der Theorie U ein Rahmenwerk für tiefgreifende – individuelle und kollektive – Veränderung geschaffen. Er legt den Fokus auf die blinden Flecken der Führung und Organisation.

Zu diesen blinden Flecken zählt auch das Zuhören – eine gemäss ihm wohl am meisten unterschätzte Fähigkeit. Beim Zuhören kommt es jedoch nicht nur auf die Ohren an. Es spiegeln sich darin die Grundprinzipien der Theorie U: Öffnung des Denkens, des Herzens und des Willens.

Die 4 Arten des Zuhörens

1 Downloading: Beim sogenannten Downloading (Herunterladen) konzentrierst du dich nur auf das, was du schon weisst bzw. was du als Nächstes sagen wirst. Du hörst quasi nur dir zu und lebst in deiner Blase. Beispiel: Politische Diskussionen werden meistens so geführt. Die eine Person hört gar nicht, was die andere Person sagt. Vielmehr hält sie schon ihre bekannten Argumente parat. Solche Gespräche finden nicht nur bei politischen Themen statt, sondern sind natürlich auch sonst im Alltag beobachtbar.

2 Faktisches Zuhören: Beim faktischen Zuhören hörst du, was die andere Person sagt. Du erfährst etwas Neues, neue Informationen und Fakten. Dazu öffnest du dein Denken und achtest auf Widersprüche. Du bist achtsamer und urteilst nicht oder hältst das zumindest zurück.

3 Empathisches Zuhören: Beim empathischen Zuhören tauchst du in die Sichtweise der anderen Person ein. Du siehst die Situation mit den Augen deines Gegenübers. Du bist vielleicht nicht mit dieser Sichtweise einverstanden. Gleichzeitig kannst du nachvollziehen, warum die andere Person eine andere Sichtweise hat. Dafür darf sich dein Herz öffnen. Du spürst quasi in die andere Person hinein. Es geht dabei um Gefühle, die zugelassen werden dürfen. Schliesslich besteht der Mensch nicht nur aus einem Kopf, sondern hat auch ein Herz und Gefühle. In vielen Unternehmen werden Gefühle nach wie vor weggedrückt. Das führt dazu, dass sich der Mensch nicht als Ganzes wahrgenommen fühlt.

4 Schöpferisches Zuhören: Das schöpferische Zuhören ist ein emergenter Dialog. Hier wird Zukunftspotenzial in dir und durch dich und andere erfahrbar. Beispiel: Etwas komplett Neues entsteht, eine neue Lösung, eine neue Einsicht etwa. Damit schöpferisches Zuhören entsteht, braucht es einen schützenden, vertrauensvollen Raum, in dem Menschen authentisch sein können. So kann Neues entstehen.

Ich durfte das alles selbst während Weiterbildungen zur Prozessbegleiterin und in meinem persönlichen Veränderungsprozess erleben. Die oben beschriebene Haltung und Erfahrung sowie das Wissen darüber gebe ich nun privat und in meiner beruflichen Tätigkeit in der Prozessbegleitung und Kommunikation weiter. Im Alltag, mit meinen Angeboten zu emergenten Dialogen und im Erzählraum für eine neue Gesprächskultur und in Workshops sowie Beteiligungsverfahren, um Menschen zu beteiligen und zu begleiten. Damit wir alle Momo werden – und Zukunftsfähiges entstehen kann.

 

Inspiriert von folgenden Quellen:

Bilder: 

  • Pexels_Magda Ehlers
  • Printscreen Momo aus dem öffentlich verfügbaren Video im Web

 

Autorin:
Silke Knöbl ist Prozessbegleiterin für partizipatives Gestalten mit Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft sowie Kommunikationsexpertin. Sie befasst sich vor allem mit (Bürger-)Beteiligung und bringt auch demokratische Innovationen in Unternehmen, Schulen und Organisationen. Weitere Blogbeiträge von ihr finden sich in
Silky Way – das Impactblog

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